Tom Waits zählt zu den rätselhaftesten Gestalten der modernen Musik. Von whiskeygetränkten Balladen und rauchigen Jazzklagen bis hin zu experimentellen Noise-Collagen und surrealem, theatralischem Rock – sein Sound ist eine Welt für sich. In seiner fünf Jahrzehnte währenden Karriere hat sich Waits vom rauchigen Piano-Poeten zu einem Klangkünstler entwickelt, der Instrumente, Stimmen und Alltagsgeräusche wie ein Maler seinen Pinsel einsetzt. Zentral für diese Transformation sind nicht nur Waits selbst, sondern auch die außergewöhnlichen Musiker, die seine Vision zum Leben erweckt haben, und das einzigartige Equipment, das sie dafür nutzten.
Anfänge: Barhocker, Balladen und gebrochene Herzen
In den 1970er Jahren wurde Tom Waits oft mit Singer-Songwritern wie Randy Newman und Harry Chapin in einen Topf geworfen. Alben wie „ Closing Time“ (1973) und „The Heart of Saturday Night “ (1974) zeichneten sich durch gefühlvolle, jazzige Kompositionen aus, die von Klavier, Kontrabass und dezentem Schlagzeugspiel getragen wurden. Die Gitarre spielte in diesen Jahren eine untergeordnete Rolle; meist wurde eine akustische Rhythmusgitarre klar und minimalistisch eingespielt. Waits' frühe akustische Werke basierten auf den natürlichen Klängen von Instrumenten wie:
-
Martin 0-15 : Eine kleine, akustische Mahagonigitarre, bekannt für ihren warmen Mittenbereich und ihren bluesigen, druckvollen Klang. Ideal zum Geschichtenerzählen.
-
Gibson L-1 : Eine Akustikgitarre aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise mit einem kantigen, Vintage-Charakter.
Obwohl die Arrangements relativ konventionell waren, konnte man bereits spüren, dass Waits an den Grenzen kratzte – er suchte das Unvorhersehbare und das Unvollkommene.
Der Klangwandel: Von Schwertfischtrombones an
Mit „Swordfishtrombones“ im Jahr 1983 änderte sich alles . Tom befreite sich von den Erwartungen der großen Plattenfirmen und stürzte sich kopfüber in unbekannte Gefilde. Schrottplatz-Percussion, verzerrter Gesang, ramponierte Hörner, Streichsägen, Harmoniums und bizarre Gitarrenklänge schufen eine Ästhetik, die gleichermaßen eindringlich wie berauschend war.
Im Zentrum dieser Neuerfindung stand der Gitarrist Marc Ribot .
Marc Ribot: Architekt des Klapperns
Ribots Spiel auf „Rain Dogs “ (1985), „Frank’s Wild Years“ (1987), „Mule Variations“ (1999), „Real Gone“ (2004) und „Bad As Me “ (2011) ist unvergleichlich im Rock und Jazz. Er spielt nicht einfach nur Noten – er erweckt Charaktere zum Leben. Ob er nun zerbrochene Marionetten, bellende Hunde oder verrostete Zugpfeifen imitiert, Ribots Parts sind zutiefst erzählerisch.
Um den gewünschten rauen und unberechenbaren Klang zu erzielen, spielte er oft billige E-Gitarren aus dem Pfandhaus. Sein Equipment war bewusst Lo-Fi.
-
Teisco Del Reys, Silvertone & Harmony Gitarren : Bekannt für ihre mikrofonischen Tonabnehmer und ihre instabile Stimmung.
-
Fender Deluxe Reverb Verstärker : Aufgedreht, um natürlich zu verzerren.
-
Minimalistisches Pedalboard: Oft nur ein Fuzz und ein Delay oder ein Tremolo.
Ribot akzeptierte die Einschränkungen. Über Rain Dogs sagte er : „Tom wollte, dass die Musik alt und seltsam klingt, als wäre sie in einer Gasse hinter einer Bar in Mexiko gefunden worden.“
Seine kantigen Gitarrenriffs bei „Clap Hands“, die sumpfigen Riffs bei „Jockey Full of Bourbon“ und das Mariachi-artige Flair von „Tango Till They're Sore“ zeigen allesamt einen Musiker, der nicht auf Perfektion, sondern auf Stimmung ausgerichtet ist.
Weitere Mitwirkende: Blues, Beef und Bizarre
Keith Richards
Die Rolling-Stones-Legende steuerte auf „Rain Dogs “ („Big Black Mariah“) und später auf „Bad As Me“ , wo er auf mehreren Stücken zu hören ist, einen lässigen, ledrigen Gitarrensound bei. Sein unverwechselbarer Ton – oft eine Telecaster über einen verzerrten Verstärker mit minimalen Effekten – verlieh dem Ganzen eine gewisse Lässigkeit, die Waits' eher chaotische Instinkte im Zaum hielt.
David Hidalgo (Los Lobos)
Hidalgo steuerte Gitarre, Akkordeon und Violine zu Bad As Me bei und legte dabei erdige Klangfarben über die eher experimentellen Arrangements.
Joe Gore
Ein langjähriger Sideman von Waits, der mit Hilfe von Vibratohebeln, primitiven Fuzz-Pedalen und ungewöhnlichen Stimmungen experimentelle Klänge erzeugte. Er bevorzugte abgenutzte Fender Jaguars und japanische Vintage-Gitarren.
Gitarren in Waits' eigenen Händen
Obwohl Waits in erster Linie als Sänger und Pianist bekannt ist, ist sein Gitarrenspiel ein zentraler Bestandteil seiner Persönlichkeit, insbesondere bei Live-Auftritten.
Seine Ausrüstungswahl spiegelt seine Vorliebe für das Abgenutzte und Vergessene wider:
-
Danelectro 5005 Convertible : Eine preiswerte Akustikgitarre mit Hohlkorpus und Tonabnehmer, die häufig bei Auftritten zum Einsatz kommt. Ihr Klang ist dünn, trocken und perkussiv.
-
Gretsch New Yorker Archtop : Vintage-Akustikgitarre mit elektrischem Klang und einem weichen, kastenförmigen Sound.
-
Harmony H44 Stratotone : Singlecut, minimalistische Blues-Maschine.
-
Gibson Hummingbird : Wird für melodischere, akustische Stücke verwendet.
Er singt oft durch Megaphone oder verzerrte Mikrofone und erzeugt so einen rauen, Lo-Fi-Charakter. Live sieht man ihn manchmal in ein Fanon MP5-Polizei-Megafon bellen oder ein altes Bullet-Mikrofon in der Hand halten, um seine Texte zu knurren.
Aufnahmetechniken: Schrottplatzorchester
Waits' Alben sind nicht nur für sein Spiel, sondern auch für seine Aufnahmetechnik bekannt. Einige seiner charakteristischen Ansätze:
-
Live-Mikrofonübersprechen : Instrumente, deren Schall in die Mikrofone der anderen Instrumente übergeht, um einen "räumlicheren" Klang zu erzeugen.
-
Neumann U47 und Sony C37 Mikrofone : Werden für Gesang bzw. Klavier verwendet und sind für ihren warmen Vintage-Klang bekannt.
-
Bändchenmikrofone (wie das RCA 77-DX): Für einen wolligen, nostalgischen Klang.
-
Neve 8048 Mischpult mit 1081 Vorverstärkern : Kräftiger, musikalischer EQ-Sound.
-
Perkussion mit Alltagsgegenständen : Radkappen, Türrahmen, Kühlerrohre, Marimbas, Bremstrommeln.
Waits sagte einmal: „Ich mag Dinge, die Geräusche machen, die man aber nicht unbedingt in einem Musikgeschäft finden würde.“
Die Methode hinter dem Wahnsinn
Waits legt keinen Wert auf Virtuosität. Ihm geht es um die Atmosphäre. Er will, dass man sich fühlt, als wäre man in einem feuchten Keller, um zwei Uhr nachts vor einem Jahrmarkt oder in einem kaputten Plattenspieler gefangen. Das Equipment ist Mittel zum Zweck. Nichts ist makellos. Alles hat seine Geschichte.
Seine Musik ist von Geistern bewohnt – und jede billige Gitarre, jedes rostige Mikrofon und jeder überlastete Vorverstärker ist eine weitere Möglichkeit, sie einzuladen.
Abschluss
Tom Waits' Sound ist ein Mosaik aus Wahnsinn und Magie. Er verdankt sich ebenso sehr den Instrumenten und Mitwirkenden wie seiner einzigartigen Vision. Von den kaputten Gitarren und Lo-Fi-Mikrofonen bis hin zur rauen Brillanz von Marc Ribot und dem lässigen Auftreten von Keith Richards – das Equipment erzählt die Geschichte eines Mannes, der Unvollkommenheit zu hoher Kunst erhob.
In einer Welt, die von Perfektion besessen ist, erinnert uns Waits daran, dass Schönheit auch in den Rissen zu finden ist.
